Stell dir vor, du gehst jeden Morgen mit einem mulmigen Gefühl zur Schule, dein Magen zieht sich zusammen, und ein dunkler Schatten hängt über deinem Tag. Du weißt, dass dich Spott, Demütigung oder sogar körperliche Gewalt erwarten. Es ist kein einmaliges Ereignis, sondern eine grausame Routine. So fühlt sich Mobbing an – eine Realität, die für Millionen von Jugendlichen jeden Tag Wirklichkeit ist.
Mobbing ist keine harmlose „Jugendsünde“. Es sind ein wiederholte und systematische Angriffe die, die psychische Gesundheit von Jugendlichen deutlich schädigen kann, ihre Persönlichkeitsentwicklung beeinträchtigt und oft lebenslange Narben hinterlässt. In diesem Beitrag werfen wir einen Blick auf die psychologischen Auswirkungen von Mobbing und die Mechanismen, die dazu führen, dass Kinder zu Tätern oder Opfern werden.
Mobbing wird oft als gezieltes, wiederholtes Verhalten definiert, das darauf abzielt, jemandem körperlichen oder emotionalen Schaden zuzufügen. Es kann auf verschiedene Arten auftreten – körperlich, verbal, sozial oder digital (Cybermobbing). Doch hinter dieser Definition verbirgt sich ein großes Leid.
Opfer von Mobbing werden nicht nur ihrer Würde beraubt, sondern oft auch ihrer Identität. Der Psychologe Dan Olweus beschreibt Mobbing als eine Form der Gewalt, die darauf abzielt, Macht und Kontrolle auszuüben – auf Kosten der Opfer. Besonders perfide ist, dass Mobbing oft unsichtbar bleibt. Die Angriffe geschehen im Verborgenen, und selbst wenn sie bemerkt werden, fehlt oft die Unterstützung, um sie zu stoppen.
Die Auswirkungen von Mobbing sind tiefgreifend und können das Leben eines Jugendlichen nachhaltig verändern. Studien zeigen, dass die psychischen Folgen oft weit über die Jugend hinausreichen.
1. Ein Kreislauf aus Angst und Isolation
Mobbingopfer leben oft in einem Zustand ständiger Angst. Sie fühlen sich machtlos und isoliert, was zu einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit führt. Diese emotionale Belastung kann schwerwiegende psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen auslösen (Bhatia, 2023; Arseneault, Bowes & Shakoor, 2009).
2. Die stille Epidemie: Selbstverletzungen und Suizidgedanken
Die Verzweiflung vieler Opfer führt sie in eine Spirale der Selbstverletzung. Laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation ist Mobbing ein signifikanter Risikofaktor für Suizid bei Jugendlichen. Die Betroffenen sehen oft keinen anderen Ausweg, da sie glauben, dass niemand ihre Qual versteht oder ihnen helfen kann (Comis & Siqueira, 2013).
3. Langfristige Schäden für Körper und Seele
Die Schäden, die Mobbing hinterlässt, enden nicht mit der Schulzeit. Erwachsene, die als Jugendliche gemobbt wurden, berichten häufig von chronischem Misstrauen, Schwierigkeiten in Beziehungen und geringem Selbstwertgefühl. Viele von ihnen kämpfen ein Leben lang mit den Nachwirkungen (Hutson & Melnyk, 2022).
4. Soziale Isolation und schulischer Abstieg
Mobbingopfer ziehen sich oft sozial zurück und meiden Situationen, in denen sie sich verletzlich fühlen könnten. Dieser Rückzug kann auch zu schlechteren schulischen Leistungen führen, da die Betroffenen die Schule zunehmend mit negativen Erfahrungen verbinden (Zakiyah, Humaedi & Santoso, 2017).
Die Entstehung von Mobbing ist ein komplexer Prozess, der sowohl individuelle als auch soziale und kulturelle Faktoren umfasst.
1. Psychosoziale und individuelle Einflüsse
Jugendliche, die ein geringes Selbstwertgefühl haben oder ihre Emotionen nicht gut regulieren können, sind anfälliger dafür, Mobbing zu betreiben oder Opfer zu werden. Schwierigkeiten in der emotionalen Regulation können dazu führen, dass Täter ihre Unsicherheiten durch aggressives Verhalten kompensieren (Elsadek & Abbady, 2020).
2. Die Rolle der Familie
Ein stabiles und unterstützendes familiäres Umfeld kann vor Mobbing schützen, während Vernachlässigung, autoritärer Erziehungsstil oder familiäre Konflikte das Risiko erhöhen können. Eltern, die offen mit ihren Kindern sprechen und ihnen das Gefühl geben, gehört zu werden, bieten einen wichtigen Schutzfaktor (Ledwell & King, 2015).
3. Gruppendruck und Schulkultur
In vielen Schulen gibt es eine unausgesprochene „Hackordnung“, in der Dominanz und Macht wichtiger erscheinen als Respekt und Empathie. Täter fühlen sich durch das Schweigen der anderen gestärkt, während Opfer sich isoliert fühlen. Die Schulkultur spielt hier eine entscheidende Rolle: Wo Mobbing toleriert oder ignoriert wird, floriert es (Jeffrey & Stuart, 2019).
4. Die dunkle Seite des Internets
Cybermobbing hat das Problem in eine neue Dimension gehoben. Im Schutz der Anonymität können Täter ihre Opfer rund um die Uhr angreifen, und die Reichweite des Internets macht es schwieriger, die Angriffe zu beenden. Für die Opfer ist die digitale Welt oft ein Ort, der statt Sicherheit zusätzliche Angst bedeutet.
Mobbing ist kein unvermeidbarer Teil des Erwachsenwerdens. Es ist ein gesellschaftliches Problem, das wir gemeinsam lösen müssen. Eltern, Lehrer:innen, Gleichaltrige und Entscheidungsträger:innen sind gleichermaßen gefragt, um ein Umfeld zu schaffen, in dem Mobbing keinen Platz hat.
1. Erkennen und Handeln
Es ist entscheidend, die Anzeichen von Mobbing frühzeitig zu erkennen und einzugreifen. Schweigen ist keine Lösung. Jugendliche brauchen Erwachsene, die hinschauen und eingreifen.
2. Prävention durch Bildung
Schulen müssen Programme implementieren, die Empathie fördern und die Dynamiken von Mobbing erklären. Aufklärung und offene Gespräche sind der Schlüssel, um die Kultur des Schweigens zu brechen.
3. Stärkung der Resilienz
Jugendliche müssen lernen, mit Herausforderungen umzugehen und sich zu behaupten. Gleichzeitig ist es wichtig, dass sie wissen, wo sie Hilfe finden können, wenn sie sie brauchen.
Mobbing ist ein ernstzunehmendes Problem. Es raubt Jugendlichen nicht nur ihre Freude, sondern kann ihnen auch ihre Zukunft kosten. Doch wir können etwas tun. Es liegt an uns allen, eine Kultur des Respekts und der Unterstützung zu schaffen. Jeder Schritt zählt, und jedes Kind, dem wir helfen, ist ein Sieg.
Im nächsten Beitrag werfen wir einen genaueren Blick darauf, wie Mobbing verhindert und Betroffenen geholfen werden kann.
Quellen:
- Ando, M., Asakura, T., & Simons-Morton, B. (2005). Psychosocial influences on physical, verbal, and indirect bullying among Japanese early adolescents. Journal of Early Adolescence, 25(2), 268–297. https://doi.org/10.1177/0272431605276933
- Arseneault, L., Bowes, L., & Shakoor, S. (2009). Bullying victimization in youths and mental health problems: ‘Much ado about nothing’? Psychological Medicine, 40(5), 717–729. https://doi.org/10.1017/S0033291709991383
- Bhatia, R. (2023). The impact of bullying in childhood and adolescence. Current Opinion in Psychiatry.https://doi.org/10.1097/YCO.0000000000000900
- Comis, T. O., & Siqueira, A. C. (2013). Bullying na perspectiva de adolescentes que cometeram ato infracional. Psicologia Argumento, 31(75), 557–566. https://doi.org/10.7213/PSICOL.ARGUM.31.075.AO06
- Elsadek, A. M., & Abbady, A. (2020). Direct and indirect effects of difficulties in emotion regulation on bullying in high school adolescents. Journal of Educational Psychology, 17(3), 200-210. https://doi.org/10.21608/EDUSOHAG.2020.103493
- Hutson, E., & Melnyk, B. M. (2022). An adaptation of the COPE intervention for adolescent bullying victimization improved mental and physical health symptoms. Journal of the American Psychiatric Nurses Association.https://doi.org/10.1177/10783903221127687
- Jeffrey, J., & Stuart, J. (2019). Do research definitions of bullying capture the experiences and understandings of young people? International Journal of Bullying Prevention, 1(1), 38-51. https://doi.org/10.1007/s42380-019-00026-6
- Ledwell, M. J., & King, V. (2015). Bullying and internalizing problems: Gender differences and the moderating role of parental communication. Journal of Family Issues, 36(4), 543–566. https://doi.org/10.1177/0192513X13491410
- Taukhid, M., Ludyanti, L. N., & Mone, R. (2018). An overview of bullying behavior in teenagers. Journal of Education and Development.
- Zakiyah, E. Z., Humaedi, S., & Santoso, M. B. (2017). FAKTOR YANG MEMPENGARUHI REMAJA DALAM MELAKUKAN BULLYING. Journal of Psychological and Educational Studies. https://doi.org/10.24198/JPPM.V4I2.14352