12. September 2024

Was versteht man unter Neurodiversität?

Neurodiversität ist ein Konzept, das die Unterschiede in der neurologischen Entwicklung und Funktionsweise des Gehirns als natürliche und wertvolle Varianten der menschlichen Daseins anerkennt. Ursprünglich in den 1990er Jahren von der Soziologin Judy Singer geprägt, betrachtet die Neurodiversität die unterschiedlichen neurologischen „Verdrahtungen“ nicht als Defizite oder Störungen, sondern als Teil der menschlichen Vielfalt. Sie umfasst Menschen mit neurobiologischen Unterschieden wie Autismus, ADHS, Legasthenie und anderen neurologischen Entwicklungsunterschieden. Diese Sichtweise betont, dass neurodivergente Personen einzigartige Stärken und Perspektiven mitbringen, die in der Gesellschaft wertgeschätzt und unterstützt werden sollten (Patton et al., 2023).

Welche Formen der Neurodiversität gibt es?

Neurodiversität umfasst eine Vielzahl neurologischer Bedingungen. Zu den häufigsten Formen gehören:

1. Autismus: Menschen mit Autismus erleben die Welt oft anders, insbesondere im Hinblick auf soziale Interaktionen und sensorische Wahrnehmungen. Sie können besondere Fähigkeiten in Bereichen wie Detailgenauigkeit oder analytisches Denken aufweisen (Silver et al., 2023).

2. ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung): Menschen mit ADHS haben oft Schwierigkeiten mit Konzentration, Impulsivität und Hyperaktivität, zeigen aber häufig außergewöhnliche Kreativität, Energie und Problemlösungskompetenzen (Blackburn, 2023).

3. Legasthenie: Betroffene haben Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben, können jedoch häufig Stärken im kreativen Denken und in der visuellen Verarbeitung aufweisen.

4. Dyspraxie: Diese neurologische Entwicklungsstörung beeinflusst die Feinmotorik und die Koordination. Menschen mit Dyspraxie haben oft Schwierigkeiten bei alltäglichen Aufgaben, zeigen jedoch häufig außergewöhnliche Fähigkeiten in Problemlösung und strategischem Denken.

5. Dyskalkulie: Menschen mit Dyskalkulie haben Schwierigkeiten mit mathematischen Konzepten und Berechnungen, können aber in anderen Bereichen, wie im verbalen Denken und in der Kreativität, glänzen.

Wie kann man mit Neurodiversität umgehen?

Der Umgang mit Neurodiversität erfordert einen Wandel im Denken – weg von der Pathologisierung neurobiologischer Unterschiede hin zu einem inklusiven Ansatz, der die Stärken und Bedürfnisse jedes Einzelnen respektiert und unterstützt. Es gibt mehrere Ansätze, um neurodivergente Personen in der Gesellschaft und insbesondere am Arbeitsplatz besser zu unterstützen:

1. Anpassungen am Arbeitsplatz: Ein inklusiver Arbeitsplatz sollte auf die Bedürfnisse neurodivergenter Personen eingehen. Dies kann durch einfache Anpassungen wie flexible Arbeitszeiten, reduzierte sensorische Reize (z.B. weniger Lärm), klare Strukturen und die Bereitstellung von visuellem statt verbalem Feedback erfolgen (Blackburn, 2023). Solche Anpassungen tragen nicht nur zur Reduktion von Stress bei, sondern steigern auch die Produktivität.

2. Sensibilisierung und Schulung: Um neurodivergente Menschen besser zu integrieren, sollten sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter Schulungen über Neurodiversität erhalten. Solche Schulungen helfen, Vorurteile abzubauen und ein Verständnis für die besonderen Stärken und Herausforderungen neurodivergenter Menschen zu entwickeln (Szulc et al., 2021).

3. Individuelle Stärken fördern: Anstatt neurodivergente Personen zu „normieren“, sollten ihre individuellen Stärken in den Vordergrund gestellt werden. Viele Menschen mit Autismus, ADHS oder anderen neurodivergenten Bedingungen zeichnen sich durch außergewöhnliche Fähigkeiten in Bereichen wie Kreativität, analytischem Denken und Problemlösung aus (Patton et al., 2023). Ein Arbeitsplatz, der diese Talente fördert, profitiert langfristig von einzigartigen Perspektiven und innovativen Lösungen.

4. Soziale und emotionale Unterstützung: Neben strukturellen Anpassungen am Arbeitsplatz spielt auch die emotionale Unterstützung eine wesentliche Rolle. Mentoring-Programme und Unterstützungsnetzwerke können neurodivergenten Menschen helfen, ihre Herausforderungen zu bewältigen und ihre Karriereziele zu erreichen.

Fazit

Neurodiversität ist ein wertvolles Konzept, das die Vielfalt menschlicher Gehirnstrukturen und -funktionen feiert. Anstatt neurologische Unterschiede als Defizite zu betrachten, sollten wir die einzigartigen Stärken und Perspektiven neurodivergenter Menschen erkennen und fördern. Indem wir Arbeitsplätze und Gesellschaften inklusiver gestalten und uns für die Bedürfnisse neurodivergenter Menschen einsetzen, schaffen wir eine gerechtere und innovativere Welt für alle. Die Forschung zeigt, dass dieser Ansatz sowohl den Individuen als auch der gesamten Gesellschaft zugutekommt (Silver et al., 2023; Ali et al., 2023).

Quellen:

- Ali, M., Grabarski, M. K., & Baker, M. (2023). An exploratory study of benefits and challenges of neurodivergent employees: Roles of knowing neurodivergents and neurodiversity practices. Equality, Diversity and Inclusion: An International Journal.

- Blackburn, B. (2023). Managing neurodiversity in workplaces. Occupational Medicine, 73(3), 142-149. 

- Patton, E., Santuzzi, A. M., Doyle, N., Comer, D., Hayward, S., Stokes, M., Bury, S., Hedley, D., Giannantonio, C., Hurley-Hanson, A. E., Griffiths, A., Segrest, S. L., Spoor, J., & Walkowiak, E. (2023). Neurodiversity and work: Employment, identity, and support for neurominorities. Academy of Management Proceedings, 2023(1), 11452. 

- Silver, E. R., Nittrouer, C. L., & Hebl, M. (2023). Beyond the business case: Universally designing the workplace for neurodiversity and inclusion. Industrial and Organizational Psychology, 16(1), 39-65. 

- Szulc, J. M., Davies, J., Tomczak, M., & McGregor, F.-L. (2021). AMO perspectives on the well-being of neurodivergent human capital. Employee Relations, 43(3), 627-355. 

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Patrick Pfarrer
M.Sc. Psychologie / MAS Psychotherapie
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