Die Forschung zur Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) beschäftigt sich meist mit den Nachteilen der Störung – wie Impulsivität, starkem Bewegungsdrang und Konzentrationsproblemen. Doch inzwischen zeigen neue Studien, dass es auch viele positive Eigenschaften von ADHS gibt. Eine Untersuchung von Lessa Schippers und Martine Hoogman an der Radboud-Universität ergab, dass Menschen mit ADHS oft auch Stärken bei ADHS erkennen (Schippers et al., 2022).
In der Studie von Schippers et al. (2022) wurden 200 Menschen mit ADHS befragt. Dabei zeigte sich, dass nur wenige keine positiven Seiten von ADHS benennen konnten. Positive Eigenschaften von ADHS konnten jedoch die meisten benennen: Kreativität, Energie, Anpassungsfähigkeit, soziale Stärken und Denkfähigkeiten sind Beispiele dafür. Diese Vielfalt an positiven Eigenschaften bei ADHS zeigt also, dass die Störung nicht nur Schwächen mit sich bringt, sondern auch Talente fördern kann.
Besonders interessant ist, dass Frauen häufiger als Männer über die positiven Seiten von ADHS sprachen – insbesondere im Bereich der Anpassungsfähigkeit und der sozialen Fähigkeiten. So nannten 51 % der Frauen Flexibilität als Vorteil, während es bei den Männern nur 27 % waren. Außerdem sagten 53 % der Frauen, dass ihre sozialen Fähigkeiten durch ADHS gestärkt wurden. Bei den Männern waren es dagegen nur 34 %.
Ein besonders spannender Punkt ist die Verbindung zwischen ADHS und Kreativität, denn dieses Potenzial bei ADHS wird oft unterschätzt. Verschiedene Studien zeigen, dass Menschen mit ADHS in kreativen Aufgaben besonders stark sind. So stellte Abraham et al. (2006) fest, dass Jugendliche mit ADHS bei Aufgaben zur Problemlösung besonders gut darin waren, ungewöhnliche Wege zu finden – auch wenn sie bei praktischen Ideen mehr Mühe hatten.
Auch die Studie von Gonzalez-Carpio et al. (2017) kam zu einem ähnlichen Ergebnis: Kinder mit ADHS schnitten in Kreativitätstests besonders gut ab – vor allem bei Ideenvielfalt, Originalität sowie beim Ausdruck von Gefühlen und Humor. Hier zeigt sich deutlich die positive Eigenschaft von ADHS im kreativen Bereich.
Zudem zeigt die sogenannte „Creative Advantage Hypothesis“ (Beaven, 2012), dass die „ungefilterte Aufmerksamkeit“ von Menschen mit ADHS zu ungewöhnlichen Ideen führen kann. Dadurch entstehen kreative Lösungen, die andere nicht sehen. Das beweist, dass kreative Stärken bei ADHS durchaus wertvoll sein können – auch im Alltag.
Deshalb ist es wichtig, die Stärken bei ADHS auch in der Therapie zu nutzen. Verschiedene Studien zeigen, dass Programme zur Förderung von Kreativität hilfreich sind. Sie stärken nicht nur die kreativen Stärken bei ADHS, sondern verbessern oft auch das Selbstwertgefühl (Choi et al., 2013) durch die positiven Eigenschaften von ADHS. Darüber hinaus helfen Medikamente wie Methylphenidat (Ritalin) zwar bei der Konzentration, doch sie beeinflussen die Kreativität meist kaum. Eine Studie (Hernandez & Serrano, 2016) zeigte sogar, dass manche kreativen Stärken unter Medikation leicht abnahmen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ADHS mehr Seiten hat, als viele Menschen denken. Neben den bekannten Problemen bringt die Störung auch viele positive Eigenschaften wie Kreativität, Flexibilität und soziale Stärken mit sich. Genau diese ADHS Vorteile sollten daher in der Therapie und im Alltag stärker berücksichtigt werden. Es ist an der Zeit, ADHS nicht nur als Schwäche zu sehen, sondern auch als eine Quelle von Stärken bei ADHS, die das Leben der Betroffenen positiv beeinflussen können.
Quellen:
- Abraham, A., Windmann, S., Siefen, R. G., Daum, I., & Güntürkün, O. (2006). Creative thinking in adolescents with attention deficit hyperactivity disorder (ADHD). Neuropsychology, 14(2), 246-257. https://www.psychologie.uni-frankfurt.de/101347339/abraham2006.pdf
- Beaven, A. (2012). ADHD: Deficits or creative strength? Creativity Research Journal, 24(2), 123-131.
- Gonzalez-Carpio, G., Serrano, J. P., & Nieto, M. (2017). Creativity in children with attention deficit hyperactivity disorder (ADHD). Psychology, 8(3), 234-243. https://www.scirp.org/journal/paperinformationpaperid=74078#:~:text=Results%3A%20ADHD%20children%20showed%20better,measures%20for%20movement%20or%20action%2C
- Hernandez, G. C., & Serrano, J. P. (2016). Medication and creativity in attention deficit hyperactivity disorder (ADHD). Psychology of Medication, 45(4), 157-169. https://www.psicothema.com/pdf/4286.pdf
- Schippers, L. M., Horstman, L., Van de Velde, H., Pereira, R. R., Zinkstok, J., Mostert, J., Greven, C., & Hoogman, M. (2022). Positive aspects of ADHD: A qualitative study. Frontiers in Psychiatry. https://link.springer.com/article/10.1007/s12402-018-0277-6