17. April 2025

Konflikte und ADHS

Konfliktverhalten bei ADHS: Warum Konflikte so heftig erlebt werden – und was dahinter steckt

Konflikte gehören zum Alltag – mal laut, mal leise, mal unausgesprochen. Doch Menschen mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) empfinden selbst harmlose Auseinandersetzungen oft wie emotionale Gewitter. Sie wirken plötzlich, heftig und schwer kontrollierbar. Ein beiläufiger Kommentar kann tief treffen, während ein Missverständnis schnell eskaliert. Am Ende bleiben häufig Frust, Scham oder Rückzug. Das Konfliktverhalten bei ADHS zeigt sich daher oft besonders intensiv und emotional. Vielleicht kommt Ihnen das bekannt vor – bei sich selbst oder bei jemandem im Umfeld.

In diesem Beitrag erklären wir, wie ADHS das Konfliktverhalten beeinflusst. Außerdem zeigen wir, welche neurologischen Prozesse dabei eine Rolle spielen und welche langfristigen Auswirkungen für Beziehungen und das Selbstbild entstehen können.

ADHS und Emotionen: Wenn das innere Stoppschild fehlt

Ein zentrales Merkmal des Konfliktverhaltens bei ADHS ist die Schwierigkeit, starke Emotionen zu regulieren. In belastenden Situationen reagieren viele Menschen zunächst überlegt oder mit einem Moment der inneren Distanz. Menschen mit ADHS hingegen reagieren häufig sofort – und zwar sehr intensiv. Die Fachsprache spricht hier von einer gestörten emotionalen Selbstregulation (Bunford, Evans & Wymbs, 2015). Ärger, Frust oder Scham zeigen sich dadurch unmittelbar – sei es im Verhalten, in der Stimme oder in der Körpersprache.

Bereits im Kindesalter lassen sich diese Reaktionsmuster beobachten. Studien zeigen, dass Kinder mit ADHS häufiger Schwierigkeiten im sozialen Miteinander haben. Das liegt jedoch nicht daran, dass sie unfreundlich oder unsensibel sind, sondern daran, dass ihre emotionale Reaktion viel schneller und stärker einsetzt (Melegari et al., 2019). Diese frühen Konfliktreaktionen bei ADHS prägen oft das spätere Streitverhalten bei ADHS-Betroffenen – besonders im Erwachsenenleben.

Der emotionale Fokus: Nicht das „Was“, sondern das „Wie“

In Konflikten reagieren Menschen mit ADHS häufig nicht so sehr auf den Inhalt des Gesagten. Vielmehr spielt die Art und Weise, wie etwas gesagt wird, eine entscheidende Rolle. Ein genervter Unterton, eine abweisende Geste oder ein kritischer Blick reichen oft aus. Innerlich entsteht sofort eine Welle aus Unsicherheit, Wut oder Enttäuschung. Wie Bauer (2014) beschreibt, steht nicht das eigentliche Problem im Vordergrund – sondern das Gefühl, das es auslöst.

Dadurch werden sachliche Gespräche schnell emotional aufgeladen, was den Austausch erschwert. ADHS und zwischenmenschliche Konflikte verlaufen dadurch häufig intensiver. Vielleicht haben Sie es selbst erlebt: Ein kleiner Disput eskaliert plötzlich, obwohl es zunächst harmlos schien. Und später fragt man sich, wie es so weit kommen konnte. Genau diese Dynamik macht das Konfliktverhalten bei ADHS so herausfordernd – für alle Beteiligten.

Was passiert im Gehirn?

Das Konfliktverhalten bei ADHS hat nicht nur emotionale, sondern auch neurologische Ursachen. Besonders das limbische System, vor allem die Amygdala, ist bei ADHS häufig überaktiv. Diese Hirnregion verarbeitet emotionale Reize und schlägt Alarm, wenn Gefahr droht. Gleichzeitig arbeitet der präfrontale Kortex – zuständig für Bewertung, Impulskontrolle und Selbstregulation – bei Menschen mit ADHS oft weniger aktiv.

Die Folge: Emotionale Reize werden schneller als bedrohlich wahrgenommen. Die Reaktion darauf erfolgt unmittelbar, impulsiv und häufig sehr emotional (Neuhaus, 2023; Petrovic & Castellanos, 2016). Dadurch erklärt sich, warum viele Konfliktreaktionen bei ADHS-Betroffenen so intensiv ausfallen.

Das sogenannte „innere Stoppschild“, das andere Menschen vor vorschnellen Reaktionen schützt, funktioniert bei ADHS also oft nur verzögert – oder es fehlt ganz. Daher zeigt sich das Streitverhalten bei ADHS-Betroffenen häufig ungebremst.

Konflikte als Teufelskreis: Eine doppelte Belastung

Durch diese neurologischen Mechanismen geraten viele Betroffene in einen belastenden Kreislauf. Konfliktverhalten bei ADHS führt nicht nur zu häufigeren Auseinandersetzungen, sondern auch zu längerer innerer Belastung. Diese Konflikte wirken nach – sowohl bei der betroffenen Person als auch im sozialen Umfeld. Familien, Freundschaften und Partnerschaften geraten dadurch unter Druck. Wenn dann noch Rückzug, Missverständnisse oder emotionale Distanz hinzukommen, verschärft sich das Problem zusätzlich.

Greiner et al. (2012) zeigen, dass solche Konfliktmuster langfristig das Selbstwertgefühl beeinträchtigen. Viele ADHS-Betroffene beginnen, an sich selbst zu zweifeln. Aus der Angst, „zu anstrengend“ oder „zu viel“ zu sein, entsteht oft ein Rückzug – manchmal sogar Resignation. ADHS und zwischenmenschliche Konflikte wirken sich somit nicht nur äußerlich aus, sondern hinterlassen auch innere Spuren.

Langfristige Folgen: Wenn Konflikte das Selbstbild verändern

Wiederholte negative Konflikterfahrungen verändern das Selbstbild – insbesondere bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS. Senkel (2010) beschreibt, wie aus dem Gefühl des Scheiterns der Gedanke entsteht: „Mit mir stimmt etwas nicht.“ Dieser innere Glaubenssatz kann das Risiko für depressive Symptome, soziale Ängste oder auch Suchtverhalten erhöhen.

Darüber hinaus spielen Bindungserfahrungen eine wichtige Rolle. Die Forschung von Al-Yagon & Forte (2020) zeigt, dass eine Kombination aus ADHS und unsicherer Bindung das Risiko für emotionale Instabilität verstärkt. Rückzug, aggressive Impulsdurchbrüche oder dauerhafte Anspannung entstehen nicht zufällig – sie sind häufig die Folge unverarbeiteter Konflikterfahrungen. Deshalb hinterlässt das Konfliktverhalten bei ADHS nicht nur Spuren im Miteinander, sondern auch tiefe Narben im Inneren.

Fazit: Konfliktverhalten bei ADHS verstehen – und Wege daraus finden

Menschen mit ADHS erleben Konflikte meist intensiver, impulsiver und emotionaler als andere. Das geschieht nicht aus böser Absicht, sondern aufgrund neurologischer Besonderheiten. Oft steht dabei nicht das Thema selbst im Mittelpunkt, sondern die emotionale Reaktion darauf. Genau das macht das Konfliktverhalten bei ADHS so komplex. Es fordert sowohl die Betroffenen als auch ihr Umfeld.

Gleichzeitig gibt es aber Wege, diesen emotionalen Kreislauf zu durchbrechen. Im nächsten Beitrag erfahren Sie, wie man besser mit solchen Situationen umgeht. Wir stellen konkrete Strategien, alltagstaugliche Tipps und Möglichkeiten der therapeutischen Unterstützung vor.

Wenn Sie sich in diesem Beitrag wiedererkannt haben – oder jemanden kennen, bei dem das Streitverhalten bei ADHS-Betroffenen ähnlich abläuft – hinterlassen Sie gerne ein Kommentar. Wir freuen uns über Ihre Gedanken, Erfahrungen oder Fragen.

Haben Sie Fragen oder eigene Erfahrungen zu diesem Thema? Hinterlassen Sie gerne einen Kommentar – wir freuen uns auf den Austausch mit Ihnen!

Herzliche Grüße – Ihr PCM Team!

Quellen:

Al-Yagon, M., & Forte, D. (2020). Executive functions and attachment relationships in children with ADHD: Links to externalizing/internalizing problems, social skills, and negative mood regulation. Journal of Attention Disordershttps://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28918685/

Bauer, S. (2014). Impulsivität und Affektkontrolle bei ADHS. https://econtent.hogrefe.com/doi/10.1026/0942-5403.13.3.137

Bunford, N., Evans, S. W., & Wymbs, F. (2015). ADHD and emotion dysregulation among children and adolescents. Clinical Child and Family Psychology Review, 18(3), 185–217. https://link.springer.com/article/10.1007/s10567-015-0187-5

Greiner, W., Jacobs, H., & Uhl, S. (2012). Stressbewältigungstraining für Erwachsene mit ADHS: Erfahrungen aus der Praxis. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 60(1), 34–42. https://www.researchgate.net/publication/315730105_Stressbewaltigungstraining_fur_Erwachsene_mit_ADHS

Melegari, M. G., Sacco, R., & Manzi, B. (2019). Deficient emotional self-regulation in preschoolers with ADHD: Identification, comorbidity, and interpersonal functioning. Journal of Attention Disordershttps://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/26744314/

Neuhaus, L. (2023). Neurobiologische Grundlagen emotionaler Dysregulation bei ADHS. Deutsches Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Petrovic, P., & Castellanos, F. X. (2016). Top-down dysregulation—From ADHD to emotional instability. Frontiers in Behavioral Neuroscience, 10, 70. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27242456/

Senkel, T. (2010). ADHS und Selbstwert – wie soziale Konflikte die Identitätsentwicklung beeinflussen. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 57(3), 167–176.

Steinberg, E. A., & Drabick, D. A. G. (2015). A developmental psychopathology perspective on ADHD and comorbid conditions: The role of emotion regulation. Child Psychiatry & Human Development, 46(6), 951–966. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25662998/

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Patrick Pfarrer
M.Sc. Psychologie / MAS Psychotherapie
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