Jedes Jahr wiederholen viele Schüler eine Schulklasse, in Deutschland etwa zwei von 100 Kindern. Mit der Zeit steigt diese Quote, sodass unter den 15-Jährigen fast jeder Fünfte bereits eine Klasse wiederholt hat. Doch stellt sich die Frage: Bringt Sitzenbleiben tatsächlich den gewünschten Erfolg?
Laut Studien hat das Sitzenbleiben keinen langfristigen Einfluss auf den Lernerfolg der Schüler. In einer Untersuchung wurden Schüler, die eine Klasse wiederholten, mit jenen verglichen, die ähnliche Leistungen hatten, aber dennoch versetzt wurden. Das Ergebnis: Wiederholer zeigen langfristig weder bessere noch schlechtere schulische Leistungen. Das bedeutet, dass das Wiederholen einer Klasse nicht zwingend hilft, Wissenslücken zu schließen. Oftmals reicht es nicht aus, den Unterrichtsstoff lediglich noch einmal in derselben Form durchzugehen.
Interessanterweise ist Sitzenbleiben vor allem in Schulsystemen wie dem deutschen, das stark auf Leistungsdifferenzierung setzt, besonders ineffektiv. Im Vergleich dazu scheinen Systeme wie in den USA, in denen alle Schüler gemeinsam die Highschool besuchen, besser darin zu sein, individuell zu fördern. Hier können Schüler passgenauer unterstützt werden, auch wenn sie eine Klasse wiederholen müssen.
Neben den akademischen Auswirkungen hat Sitzenbleiben auch psychologische Folgen. Schüler, die eine Klasse wiederholen, müssen sich oft von ihren Freunden trennen und in einer neuen Klassengemeinschaft zurechtfinden. Diese Erfahrung kann demotivieren und das Selbstbewusstsein beeinträchtigen. Studien zeigen hier jedoch gemischte Ergebnisse: Während einige negative Effekte auf die Motivation und das Selbstbild verzeichnen, gibt es auch Hinweise auf positive Effekte. Manche Wiederholer fühlen sich in der neuen, jüngeren Klassengemeinschaft sogar kompetenter, da sie durch ihren Entwicklungsvorsprung mehr Selbstvertrauen gewinnen.
Die Debatte um das Sitzenbleiben wird nicht nur auf individueller Ebene geführt, sondern auch im Kontext des Bildungssystems als Ganzes. In Deutschland verursacht die hohe Quote an Wiederholern erhebliche Kosten, da betroffene Schüler länger im System bleiben. Länder wie Norwegen oder Japan verzichten weitgehend auf diese Maßnahme und sind dennoch sehr erfolgreich in der Bildung. Einige Bundesländer in Deutschland haben bereits damit begonnen, das Sitzenbleiben auf bestimmte Schulformen oder Jahrgangsstufen zu begrenzen.
Statt auf das Wiederholen von Klassen zu setzen, könnten alternative Fördermaßnahmen wie gezielter Förderunterricht oder Nachhilfe in Kleingruppen wirksamere Ansätze sein. Diese Maßnahmen kosten zwar ebenfalls Geld, doch könnten sie langfristig helfen, die Kosten des Sitzenbleibens zu reduzieren. Eine frühe und individuelle Förderung der Schüler könnte nicht nur schulische Leistungen verbessern, sondern auch das Selbstbewusstsein stärken.
Insgesamt zeigt sich: Das Sitzenbleiben ist keine Garantie für den Lernerfolg. Individuelle Förderung und gezielte Unterstützungsangebote bieten vielversprechendere Ansätze, um Lernlücken zu schließen und die Motivation der Schüler aufrechtzuerhalten.
Quellen:
- Goos, M. et al.: Effectiveness of grade retention: A systematic review and meta-analysis. Educational Research Review, 34, 2021.
- Kretschmann, J. et al.: Effects of grade retention on students′ motivation: A longitudinal study over 3 years of secondary school. Journal of Educational Psychology, 111, 2019.