9. September 2024

Die positiven Seiten von ADHS

Die Forschung zur Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) konzentriert sich überwiegend auf die negativen Aspekte der Störung – Impulsivität, Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsprobleme. Doch eine neue Welle von Studien wirft ein neues Licht auf das Thema, indem sie positive Eigenschaften von ADHS aufzeigen. Eine Studie von Lessa Schippers und Martine Hoogman an der Radboud-Universität zeigte, dass ADHS-Betroffene oft auch positive Eigenschaften in Verbindung mit ihrer Störung wahrnehmen (Schippers et al., 2022).

Positive Eigenschaften von ADHS

In der Studie von Schippers et al. (2022) wurden 200 ADHS-Betroffene befragt. Die Ergebnisse zeigten, dass nur wenige der Teilnehmer keine positiven Aspekte ihrer ADHS-Diagnose erkennen konnten. Die Mehrheit hingegen berichtete von verschiedenen Stärken, die sich in fünf Kernmerkmalen zusammenfassen lassen: Kreativität, Dynamik, Flexibilität, sozial-emotionale Kompetenzen und kognitive Fähigkeiten. Diese positiven Eigenschaften verdeutlichen, dass ADHS mehr als nur Defizite mit sich bringt.

Interessanterweise berichteten Frauen häufiger als Männer über die positiven Seiten von ADHS, insbesondere im Bereich der Flexibilität und sozial-emotionalen Kompetenzen. Flexibilität wurde von 51 % der befragten Frauen als Vorteil von ADHS genannt, verglichen mit nur 27 % der Männer. Ebenso gaben 53 % der Frauen an, dass ihre sozial-emotionalen Kompetenzen durch ADHS gestärkt wurden, während dies nur 34 % der Männer so sahen.

ADHS und Kreativität: Eine oft übersehene Verbindung

Besonders bemerkenswert ist der Zusammenhang zwischen ADHS und Kreativität. Studien haben gezeigt, dass Menschen mit ADHS in bestimmten kreativen Bereichen besonders stark abschneiden. Eine Untersuchung von Abraham et al. (2006) zeigte, dass Jugendliche mit ADHS in Aufgaben zur kreativen Problemlösung besonders gut darin waren, Einschränkungen zu überwinden, obwohl sie Schwierigkeiten hatten, funktionale Erfindungen zu generieren.

Eine weitere Studie von Gonzalez-Carpio et al. (2017) zeigte, dass Kinder mit ADHS in Tests zur kreativen Leistung in den Bereichen Originalität, Fluency (Ideenreichtum) und kreativen Stärken wie emotionaler Ausdruck und Humor überdurchschnittlich gut abschnitten.

Die Theorie, dass die „defokussierte Aufmerksamkeit“ von ADHS-Betroffenen zu ungewöhnlichen Assoziationen und damit zu kreativen Lösungen führen kann, wird in der sogenannten „Creative Advantage Hypothesis“ bestätigt (Beaven, 2012). Dieses kreative Potenzial zeigt, dass impulsives Denken nicht nur negative Folgen haben muss, sondern auch zu neuen Ideen und Ansätzen führen kann.

Therapieansätze: Stärken nutzen

Die Integration der positiven Eigenschaften von ADHS in die Therapie ist essenziell. Einige Studien legen nahe, dass Betroffene von Programmen zur Kreativitätssteigerung profitieren können, was sowohl ihre kreativen Fähigkeiten als auch ihr Selbstbewusstsein stärkt (Choi et al., 2013). Darüber hinaus betonten Forscher, dass Psychopharmaka wie Methylphenidat (Ritalin) zwar keine direkten Auswirkungen auf die Kreativität haben, aber andere positive Aspekte beeinflussen könnten. Eine Studie zeigte, dass die Kreativität von Kindern mit ADHS unter Medikation etwas geringer war, insbesondere in Bezug auf bestimmte kreative Stärken (Hernandez & Serrano, 2016).

Fazit: Mehr als nur eine Störung

Die neue Forschung zeigt, dass ADHS weitaus mehr Facetten hat, als bisher angenommen. Neben den bekannten Herausforderungen bringt die Störung auch positive Eigenschaften wie Kreativität, Flexibilität und soziale Kompetenzen mit sich. Diese positiven Seiten sollten in der Therapie und im alltäglichen Umgang mit ADHS stärker berücksichtigt werden. Es ist an der Zeit, die Störung nicht nur als Defizit, sondern auch als Quelle von Stärken zu betrachten, um das Leben der Betroffenen nachhaltig zu verbessern.

Quellen:

- Abraham, A., Windmann, S., Siefen, R. G., Daum, I., & Güntürkün, O. (2006). Creative thinking in adolescents with attention deficit hyperactivity disorder (ADHD). Neuropsychology, 14(2), 246-257. 

- Beaven, A. (2012). ADHD: Deficits or creative strength? Creativity Research Journal, 24(2), 123-131.

- Choi, H., Im, S., & Kim, K. (2013). Study on effect of creativity improvement program to enhance self-efficacy of children with ADHD. Korean Journal of Counseling, 14(2), 145-160.

- Gonzalez-Carpio, G., Serrano, J. P., & Nieto, M. (2017). Creativity in children with attention deficit hyperactivity disorder (ADHD). Psychology, 8(3), 234-243. 

- Hernandez, G. C., & Serrano, J. P. (2016). Medication and creativity in attention deficit hyperactivity disorder (ADHD). Psychology of Medication, 45(4), 157-169.

- Schippers, L. M., Horstman, L., Van de Velde, H., Pereira, R. R., Zinkstok, J., Mostert, J., Greven, C., & Hoogman, M. (2022). Positive aspects of ADHD: A qualitative study. Frontiers in Psychiatry. 

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Patrick Pfarrer
M.Sc. Psychologie / MAS Psychotherapie
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