Schmerzen

Jeder kennt das. Der Rücken tut weh, weil man zu lange gestanden hat, die Haut brennt, weil man zu lange in der Sonne gelegen hat, oder der Kopf schmerzt, weil man am Abend davor „Einen über den Durst getrunken hat“. All das sind Beispiele für Schmerzen.
Schmerz gehört zu den ältesten und eindrücklichsten Erfahrungen eines jeden Individuums. Das Thema Schmerz ist seit Jahrhunderten Gegenstand unterschiedlichster Forschungsrichtungen. So haben sich bereits berühmte Philosophen wie Aristoteles und René Descartes mit Fragen zu dessen Entstehung, Aufrechterhaltung und Bewältigung beschäftigt.
Die Erforschung von Schmerzen hat Einzug bis in die Neuzeit gehalten und stellt vor allem heutzutage ein stark beforschtes Themengebiet dar. Sowohl in der Medizin als auch in der Psychologie beschäftigt man sich eingängig mit der Erforschung von Schmerzen
Wir als Psychologen sind vor allem an der Entstehung, Aufrechterhaltung und Behandlung von chronischen Schmerzen interessiert. Was uns schon zur ersten Frage führt.
Wie lassen sich Schmerzen einteilen?
Allgemein lassen sich Schmerzen (neben anderen Einteilungen) in akute und chronische Schmerzen einteilen.
Was ist akuter Schmerz?
Akuter Schmerz hat eine evolutionäre Warn- und Schutzfunktion. Akuter Schmerz kann durch äußere Reize, wie z.B. eine Verletzung, oder innere Prozesse, wie z.B. Entzündungen oder Verspannungen, ausgelost werden. Er hält nur eine gewisse Zeit lang an und wir spüren ihn an einer bestimmten Stelle des Körpers
Verspüren wir einen akuten Schmerz, dann wissen wir das etwas nicht stimmt. Der Schmerz warnt uns, dass eine Schädigung des Körpers droht, woraufhin wir reagieren um die Schädigung abzuwenden oder zu mildern. Er motiviert uns heilende Maßnahmen zu ergreifen und uns zu schonen.
An einem Beispiel verdeutlicht:
Anna ist im morgendlichen Stress, möchte aber bevor Sie das Haus verlässt noch einen Tee trinken. Sie setzt deshalb Wasser auf. Als Sie das kochende Wasser hastig in die Teetasse füllt, passiert es. Sie verliert den sicheren Griff und schüttet einen Teil des kochenden Wassers über ihre Hand. Sofort spürt Sie den brennenden Schmerz auf der Haut, weshalb Sie das Eingießen abrupt beendet und ihre Hand schnell unter fließendes kaltes Wasser hält. Als der Schmerz ein bisschen nachlässt, beendet Sie die Kühlung, trägt eine Salbe auf und verbindet ihre Hand. Um auf Nummer sicher zu gehen fährt sie ins Krankenhaus. Dort wird sie behandelt und für eine Woche krankgeschrieben.
Wie wir an dem Beispiel sehen wusste Anna sofort als Sie das Brennen auf der Haut gespürt hat das etwas nicht stimmt. Sie das beendet das Eingießen um weitere Maßnahmen zu ergreifen. Um der Schädigung entgegenzuwirken, kühlt Sie die Hand, verbindet Sie und fährt ins Krankenhaus. Dort wird die Verletzung weiter behandelt und um sich zu schonen wird Sie außerdem krankgeschrieben. Akuter Schmerz hat also eine schützende Funktion für uns Lebewesen.
Was ist denn, dann chronischer Schmerz?
Bei chronischen Schmerzen ist das etwas anders. Chronische Schmerzen sind sehr lange anhaltende Schmerzen die keine wirklich sinnvolle Warn- und Schutzfunktion mehr haben. Der Schmerz besteht weiter ohne, dass eine körperliche Schädigung vorhanden ist und wird dadurch selbst zur Erkrankung.
Das Problem daran ist: Wo es keine direkte Schädigung gibt, fällt es schwer zu behandeln. Schonung führt leider auch nicht mehr zu einer Besserung, stattdessen verschlimmert sie auf Dauer sogar die Schmerzen.
Für Betroffene kommt es zu deutlichen Einschränkungen in der Lebensqualität und zu körperlichen und psychischen Begleiterkrankungen.
Wie häufig sind denn chronische Schmerzen?
Chronischer Schmerz ist heutzutage eine der wichtigsten medizinischen und psychologischen Herausforderungen in den westlichen Industrienationen geworden. Feldstudien zeigen, dass mittlerweile jeder dritte Arztbesuch in Mitteleuropa aufgrund wahrgenommener Schmerzen erfolgt
Die Zahl der Betroffenen ist in den vergangenen Jahren wie in kaum einer anderen Diagnosegruppe angestiegen. Laut aktuellen Schätzungen leiden bis 30% der Bevölkerung in westlichen Nationen unter chronischen Schmerzen.
Was machen denn chronische Schmerzen aus?
Um von chronischem Schmerz sprechen zu können, muss der Schmerz einige Kriterien erfüllen.
In den beiden gängigsten Diagnosesystemen gelten Scherzen erst dann als chronisch, wenn Sie nach der Heilungsphase mindestens 6 Monate lang weiter anhalten.
Der Zeitfaktor alleine ist jedoch nicht ausreichend. Chronische Schmerzen haben weitere Merkmale.
  • Der Schmerz hat seine biologische Warnfunktion verloren und erlangt dadurch einen selbständigen Krankheitswert mit psychischen Auswirkungen.
  • Konventionelle Therapien sind auch nach mehrmaligen Versuchen erfolglos geblieben.
  • Der Schmerz führt zu Einschränkungen in der Lebensqualität.
  • Der Zusammenhang zu körperlichen Faktoren ist nicht mehr vorhanden und sowohl die Intensität als auch die Lokalisation haben sich verändert.
  • Der Schmerz gerät in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns und führt dadurch zu einem ungünstigen Krankheitsverlauf
  • Aus Angst vor weiterer Schädigung und erneuten Schmerzen wird ein Schonverhalten gezeigt
  • Es kommt zu einem sozialen Rückzug und zu Einschränkungen im Privat- und Berufsleben

Entstehung

Wie kommt es denn zu chronischen Schmerzen?
Die Entstehung und Aufrechterhaltung kann relativ gut durch sogenannte „Biopsychosoziale-Modelle“ erklärt werden.
Was bitte ist denn ein „Biopsychosoziales-Modell“?
Biopsychosoziale-Modelle gehen davon aus, dass Erkrankungen sowohl durch biologische (körperliche), psychische und soziale Faktoren entstehen. Alle Bereiche beeinflussen die mögliche Entwicklung einer Erkrankung. Annahme der Modelle ist: Bei ungünstigen Konstellationen der drei Faktoren entsteht eine Erkrankung, durch günstige Beeinflussung der unterschiedlichen Faktoren kann diese jedoch auch geheilt werden. Aus der biopsychosozialen Sichtweise ist es wichtig alle drei Bereiche bei einer Therapie zu beachten.
Was hat das Biopsychosoziale-Modell mit Schmerzen zu tun?
Im Bereich der chronischen Schmerzen geht man davon aus, dass es zunächst zu akuten Schmerzen kommt, ausgelöst durch bspw. Überbeanspruchung, Verletzungen oder chronische Alltagsbelastungen. Entscheidend ist wie mit diesen akuten Schmerzen umgegangen wird.
Bei jeder Neuerung im Leben wie bspw. akuten Schmerzen kann sich eine Person entweder an die Gegebenheiten anpassen oder nicht. Zeigt sie zielführende Verhaltensweisen zur Anpassung an die Situation (den Schmerz) wird diese im Normalfall bewältigt. Schafft sie es nicht sich anzupassen kommt es für gewöhnlich zu Problemen.
Hat eine Person Probleme sich an die Schmerzen anzupassen, also gut mit den akuten Schmerzen umzugehen, Kann es dazu kommen, dass die akuten Schmerzen nicht mehr verschwinden. Aus psychologischer Sicht ist hier wichtig wie die Person über die Schmerzen denkt, welche emotionalen Reaktionen die Schmerzen hervorrufen und wie sie sich aufgrund der Schmerzen verhält.
Aber was genau führt denn nun zu chronischen Schmerzen?
Es gibt nun spezielle Arten zu denken, zu fühlen, sich zu verhalten, sowie spezielle Umweltbedingungen die eine chronische Schmerzentwicklung wahrscheinlich machen.
Kendall und Kollegen haben hierfür folgende Faktoren gefunden:
Denken:
  • Überzeugungen, dass Bewegung oder Belastung schadet
  • Überzeugungen, dass der Schmerz vor der Wideraufnahme von Aktivitäten vollständig verschwunden sein muss
  • Katastrophen denken: Denken, dass jede Aktivität den Schmerz negativ beeinflussen kann.
  • Überzeugungen, dass der Schmerz unkontrollierbar ist
  • Glauben, dass die Behandlung der Schmerzen streng nach „Schema F“ ablaufen muss. (Also das nach so und so viel Tagen, nach einer bestimmten Behandlung eine Schmerzfreiheit da sein muss)
Emotionen:
  • Angst vor den Schmerzen und vor Beeinträchtigung
  • Depressive Verstimmung
  • Erhöhte Aufmerksamkeit für körperliche Symptome
  • Hilflosigkeitserleben und Resignation
Verhalten:
  • Ausgeprägte schon Verhalten
  • Rückzug von normalen Alltagsaktivitäten
  • Ausgeprägtes Vermeidungsverhalten
  • Schlafstörungen
  • Medikamentenmissbrauch
Familie:
  • Über-protektiver, zu fürsorglicher Partner
  • Abhängigkeiten in der Vorgeschichte
  • Ein anderer Familienangehöriger als Schmerz Patient
  • Partnerschaftliche und familiäre Konflikte
Arbeitsplatz:
  • Überzeugung, dass die Arbeit dem Körper schadet
  • Wenig unterstützende Umgebung am Arbeitsplatz
  • Kein Interesse von Vorgesetzten und Kollegen an der eigenen Person
  • Unzufriedenheit am Arbeitsplatz
  • Entlastungsmotivation für die Arbeitsstelle
Diagnostik/Behandlung:
  • Schon Verhalten beziehungsweise Beeinträchtigung vom Behandler unterstützt
  • Mehrere (zum Teil widersprechende) Diagnosen
  • Befürchtung einer malignen (schädigenden und potentiell tödlichen) Erkrankung
  • Hohes Inanspruchnahme -Verhalten
  • Überzeugung, dass nur eine körperliche Behandlung Besserung bringt
  • Unzufriedenheit über die vorhergehende Behandlung
Treffen diese ungünstigen Konstellationen im Denken, Fühlen, Verhalten und der Umweltbedingungen nun auf eine akute Schmerzsituation, kann es dazu führen, dass die betroffene Person die akuten Schmerzen nicht bewältigen kann. Die eigentliche körperliche Ursache heilt dann zwar ab aber die Schmerzen bestehen weiterhin. Es entwickelt sich also ein chronischer Schmerz.
Gibt es eine Idee wie die Chronifizierung genau abläuft?
Ja die gibt es. Ein gängiges Modell zur Entwicklung von chronischen Schmerzen ist das sogenannte „Fear-Avoidance-Modell“.
Was ist denn das „Fear-Avoidance-Modell“?
Beim Fear-Avoidance-Modell handelt es sich um ein Modell, dass die Chronifizierung von Schmerzen anhand unterschiedlicher Etappen erklären soll.
Den Ausgangspunkt des Modells stellt der akute Schmerz da. Das Modell zeigt zwei Wege wie auf den akuten Schmerz reagiert werden kann.
Der erste Weg ist der „funktionale Weg“, also der „Weg der Anpassung“. Die betroffene Person hat Kognitionen (Gedanken) die sie zur Bewältigung befähigen. Also Kognitionen wie bspw. „Der Schmerz wird schon wieder weg gehen“, „Ich kann jetzt nicht die ganze Zeit deshalb zu Hause bleiben“, „Moderate Bewegung tut mir bestimmt gut“. Aufgrund dieses funktionalen Denkens zeigt die Person auch zielführende Verhaltensweisen, wie bspw. wieder leichten Sport betreiben, spazieren gehen, zu einer Physiotherapie gehen usw. Durch das funktionale Verhalten wird der akute Schmerz letztendlich bewältigt.
Der zweite Weg ist der „dysfunktionale Weg“, also der „Weg der Nicht-Anpassung“. Die betroffene Person hat Kognitionen (Gedanken), die sie nicht zur Bewältigung befähigen. Dabei handelt es sich um katastrophisierende Gedanken die zu Angst vor Bewegung und Angst davor führen sich wieder zu verletzen. Durch diese Ängste kommt es zur Vermeidung von potentiell schmerzauslösenden Situationen und Bewegungen und zu einer „Hyper-Vigilanz“ für Körperempfindungen.
Was ist eine Hyper-Vigilanz?
Personen mit einer Hyper-Vigilanz nehmen Körperempfindungen als potentiell gefährlich und schädigend wahr. Sie leiden unter einem ständigen Gefühl der Angst, Übererregung und erhöhter Schreckhaftigkeit und sind ständig auf der Hut vor möglichen körperlichen Schädigungen. Sie beobachten kontinuierlich körperliche Veränderungen und hinterfragen ob diese eine Bedrohung darstellen könnten.
Die Angst und die Hyper-Vigilanz führen zu einer anhaltenden Vermeidung von Bewegungen und Aktivitäten. Die Vermeidung führt zu einer Schwächung des muskuloskelettalen Systems und infolgedessen zu einer erheblichen Schwächung wichtiger Muskelgruppen. Die Schwächung der Muskelgruppen führt wiederum zu einer Verschlimmerung der Schmerzsymptomatik.
Das Vermeidungsverhalten führt außerdem zu einem Rückzug von alltäglichen Aktivitäten wie bspw. der alltäglichen Arbeit aber auch dem Sozialleben. Dadurch kommt es zum einen Verlust von „positiven Verstärkern“ im Leben was zu einer depressiven Stimmung führt. Die depressive Verstimmung beeinflusst das Schmerzdenken und das allgemeine Wohlbefinden.
Sowohl die depressive Stimmung als auch die Schwächung des muskuloskelettalen Systems führen in letzter Konsequenz zu einer reduzierten Schmerztoleranz und dadurch zu einem vermehrten Schmerzerleben. Dreht sich dieser Kreis immer weiter Chronifiziert sich der Schmerz.

Therapie

Aber warum soll ich denn zum Psychologen, wenn ich Schmerzen habe?
Viele Schmerzpatienten denken sich mit Sicherheit was soll ich denn bei einem Psychologen, wenn ich doch Schmerzen habe!
Wie auf dieser Seite versucht wurde darzustellen sind chronische Schmerzen auch von der Art des Denkens, des Verhaltens und der Umwelt beeinflusst. Sowohl bei der Entstehung als auch bei der Aufrechterhaltung von chronischen Schmerzen, haben das Denken und Verhalten der Person, sowie der Einfluss der Umwelt einen essenziellen Anteil.
Kann mir eine kognitive Verhaltenstherapie helfen?
In einer kognitiven Verhaltenstherapie wird versucht das Denken und Verhalten der betroffenen Person zu ändern. Sie soll befähigt werden wieder so zu denken und zu handeln, dass sie auf Dauer ein normales Leben führen kann. Es steht nicht die Schmerzreduktion im Vordergrund, sondern eine bessere Schmerzbewältigung. Also eine Verbesserung der Lebensqualität trotz der vorhandenen Schmerzen.
Oft ist es sinnvoll eine psychotherapeutische Behandlung mit anderen Behandlungen zu kombinieren. Also ein integratives Zusammenarbeiten zwischen z.B. Ärzten(innen) und Psychologen(innen), sodass z.B. eine abgestimmte Therapie mit (Analgetika) Schmerzmitteln, Psychotherapie und Biofeedback stattfinden kann.
Was passiert in so einer kognitiven Verhaltenstherapie?
Zu den gängigen Verfahren bei der KVT für chronische Schmerzen gehört neben Entspannungsverfahren, Aufmerksamkeitslenkung und Biofeedback usw. vor allem die Umstrukturierung des Denkens und Änderung des Verhaltens. Das Ziel ist, zu erfahren, dass Schmerz durch Verhalten, Gefühle und Kognitionen (Gedanken) beeinflusst werden kann. Dem Patienten wird aus dem Gefühl, dem Schmerz hilflos ausgeliefert zu sein, geholfen.
Gibt es Belege, dass eine kognitive Verhaltenstherapie wirksam ist?
In verschiedenen Metanalysen konnte nachgewiesen werden, dass die kognitive Verhaltenstherapie ein wirksames Therapieverfahren ist! Es zeigen sich Besserungen in der Schmerzintensität, dem Schmerzverhalten (Schonung und Vermeidung), der Beeinträchtigungen durch den Schmerz, der Stimmung und bei direkten Schmerzparametern (Intensität, Dauer, Häufigkeit usw.).

Zu beachten

Kann es Komplikationen geben?
Häufig neigen Betroffene zu psychischen Störungen. Häufig sind hierbei Angststörungen (Link), Depressionen (Link), somatoforme Störungen (LINK), Schlafstörungen, und Posttraumatische Belastungsstörungen (LINK).
Häufig findet ein Substanzmittelkonsum, meist mit Opioiden statt, der eine Therapie behindern und je nach Substanz gefährliche Auswirkungen auf Körper und Psyche haben kann. Ein bestehender Substanzmittelkonsum ist vor und während einer Therapie unbedingt zu beachten.
Im Bereich der chronischen Schmerzen haben wir natürlich häufig Medikamente die durch Ärzte verschrieben werden. Was in erster Linie nicht falsch ist. In Kombination mit einer Psychotherapie sollte jedoch, mit dem behandelnden Arzt, eine Abstimmung über die weitere Vergabe der Medikamente erfolgen.
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